Ich glaube, dass es in kaum einer Fahrzeuggattung so viele Sonderlinge und Kuriositäten gibt wie bei Rollern. Wobei mich hier besonders die frühen Automatikroller faszinieren. Fahrzeuge die aus einer Zeit stammen, als die heute gültige Formel noch nicht endgültig fest stand. Ein solches Fahrzeug ist der Bajaj Sunny aus Indien.
Seine erste Reise nach all der Zeit ging dann heute zu mir in die Werkstatt. Dort schlug dann die Stunde der Wahrheit, denn erstmal kam die Verkleidung runter.
Es zeigte sich dann recht schnell, dass der gute Ersteindruck nicht unberechtigt war. Der Roller ist grundsätzlich in Ordnung, allerdings wurde in der Vergangenheit am Luftfilter gepfuscht.
Irgendjemand hat hier versucht, den zerfallenen Gittereinsatz mit einer viel zu großen Hauptdüse auszugleichen. Außerdem waren die Lufteinlässe des Filtergehäuses teilweise mit Heißkleber zugeschmiert. Dass der Vergaser nach all den Jahren völlig zugekleistert war ist sowieso klar.
Gebracht hat allerdings auch eine gründliche Reinigung der Gasfabrik nichts. Der Roller mag einfach nicht anspringen.
Schuld daran ist wohl eine Nachlässigkeit des Vorbesitzers. Der Roller stand scheinbar all die Jahre mit offenem Benzinhahn und der Treibstoff war in die Kurbelkammer gelaufen. Einlassmembranen und Kurbelgehäuse sind entsprechend voll klebrigen Rückständen.
Ein Versuch die Membranen zu reinigen hat nichts gebracht. Es hilft wohl nichts, der Motor muss raus und gründlich gereinigt werden. Ohne neue Dichtungen macht das aber keinen Sinn. Zum Glück sind wenigstens diese verfügbar. Ein kleiner Lichtblick in einer eher bescheidenen Ersatzteilsituation.
Jetzt heißt es also erstmal warten auf die Ersatzteile. Dann geht es mit dieser höchst spannenden Baustelle weiter.
wo nicht viel dran ist , kann nicht viel kaputt gehen
Das ist der Grundgedanke. Das Problem ist das alles was doch kaputt geht unersetzbar ist. Dieser Händler hier ist die einzige regelmäßige Ersatzteilquelle in Deutschland:
https://www.indian-c.....-c36904742
11 Positionen sind lieferbar. In Indien gibts mehr, aber das ist halt auch so eine Sache. Ich bin da aktuell am abchecken wer dort bereit ist nach Deutschland zu verschicken und was das kosten würde.
Dazu kommt, dass der Roller sehr klein ist und sehr wenig Leistung hat. Etwas über 2PS (also 1/2-Quitschipower 😉 ) ist nicht gerade überwältigend. Nein, ein Tourer wird das wohl eher nicht werden.
Was ist das denn für ein Motor
Bajaj Motor Typ M18
Mit einem modernen Automatikroller-Motor hat das Teil nahezu nichts gemeinsam. Die Antriebskonstruktion ähnelt eher einem Eingang-Automatikmofa ala Puch Maxi. Aber davon wird es noch mehr Detailbilder geben. Youtube-Videos sind außerdem in der Mache 😉
hab ich noch nie gesehen, irgendwie gruselig
So dürfte es den allermeisten gehen. Ich hatte vor gut 20 Jahren mal ein Sunny Mofa für einige Kleinarbeiten in den Fingern, das wars aber auch schon an Erfahrungen damit.
Die Mofas wurden Anfang der 90er über die Praktiker-Baumärkte verkauft. Die 50km/h Versionen kamen über einen Importeur in Berlin ins Land. Wirklich viele waren es halt nie.
Sagen wirs mal so: Dichtungen und WeDi gibt es als fahrzeugspezifisches Set in Deutschland. Lager sind Normteile und Kolbenkits, auch Übermaße, sind in Europa (GB) lieferbar. Aus Indien könnte man für relativ wenig Geld komplett neue (!) Motoren beziehen. Außerdem nahezu alle anderen Teile für das Fahrzeug außer Karosserieteile. Was es auch nicht gibt sind Einlassmembranen und Ansaugstutzen. Auch nicht in Indien, aber diese Teile habe ich ja in brauchbarem Zustand.
Ich habe mit einem indischen Händler schon einen Emailwechsel. Versand ist teuer (etwa 80€/Paket) aber machbar. Lieferzeit nach Europa 6 bis 8 Wochen. Das ist jetzt nicht überragend toll, aber machbar. Ich denke mal, dass ich irgendwann mal eine Großlieferung Verschleißteile anfordern werde, dann ist alles gesichert. Bajaj hat zwischen 1990 und 1997 nahezu 20 Millionen (!) Sunnys gebaut, da sind schon ein paar Teile übrig 😉
also vergaser und zylinderkitpreise find ich sogar noch human und nicht "arm+beinab"
der kleine hat was , find den richtig schnuffig so ein blau an einem roller sieht man auch nicht allzu oft 😉
Etwas über 2PS (also 1/2-Quitschipower)
du machst quitsch besser als er ist , laut betriebserlaubnis : satte 2 kw = 2,7 ps 😉
Mit dem Motor auf der Werkbank konnte es dann also losgehen. Eine Entdeckungsreise ins Innere des indischen Winzlings.
Ebenso unter dem Polrad. Die Zündung ist ebenso sauber wie simpel. Zwei Spulen genügen hier für Licht- und Zündstrom.
Der wesentliche Schwachpunkt des Getriebes ist der Kettenspanner. Dieser ist hier jedoch völlig in Ordnung.
Das alle Dichtflächen gründlichst gereinigt werden ist dabei sowieso klar. Auch wenn das bei den uralten, völlig versteinerten Dichtungen teilweise nicht so einfach ist.
Zum Schluss bekam der Auspuff, der bis auf etwas Oberflächenrost sehr gut erhalten ist, noch etwas Farbe.
Somit ist dieses, praktisch unersetzbare Teil, auch wieder fit für langen, treuen Dienst.
Jetzt ist erstmal wieder Warten angesagt. In den nächsten Tagen sollten die fehlenden Teile kommen. Viele sind es nicht. Letztlich läuft es auf einmal neu Abdichten und einen Ölwechsel hinaus. Der Zustand des Fahrzeugs ist wirklich überragend gut.
das der Motor ursprünglich aus der Honda Motokompo stammt.
Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Die Motocompo hat einen völlig anders strukturierten Motor. So hat die Motocompo einen liegenden Zylinder und moderne, geschlossene Überströmer. Der Motor im Sunny ist stehend angeordnet mit offenen Kanälen, also eine viel altmodischere Konstruktion. Der Antrieb der Motocompo arbeitet allerdings nach dem selben Grundprinzip. Allerdings gab es davon (für das Express NC50 Mokick) m.W. auch eine Version mit Zweigang-Automatik.
Der Motor im Sunny ist m.E. eher eine Kombination verschiedener Vorbilder. Der Antrieb mag durchaus der Honda nachempfunden sein, erinnert aber auch an div. Automatikmopeds. Der Aufbau der Kupplung ist nahezu 1:1 den Automatikmotoren von Puch nachempfunden, die Kettenführung mit Federspanner und Gleitschiene gab es so auch bei Romet und Peugeot. Motorlayout und Zylinderdesign entsprechen weitgehend dem Quingqi Mulan, der wohl der erste komplett neu entwickelte Roller aus China war, allerdings schon eine "moderne" Variomatik hatte. Der Sunnymotor ist letztlich eine komplett eigenständige Konstruktion, auch wenn klar sein dürfte, dass Bajaj sich div. andere Fahrzeuge angesehen hat. Einige Kleinteile, wie die Motorbolzen, sind auch 1:1 aus der Vespa-Lizenzfertigung.
Die Kette läuft im Ölbad, isn't it?.
Der komplette Antrieb ist im Ölbad.
Die Dichtungen für den Sunny waren zwischenzeitlich in der Post, also konnte es daran gehen den Motor wieder zusammen zu bauen.
Es war ja nur ein Kurbelwellenlager ausgebaut, darum ging es relativ flott. Die übliche Methode mit Ofenplatte und Eisspray funktioniert auch bei indischer Primitivtechnik sehr gut.
Das das antriebsseitige Lager vom Getriebeöl geschmiert wird, kommt der WeDi "verkehrt herum" rein, also mit der offenen Seite zum Getriebe.
Eines von vielen Details, die der Sunny mit div. klassischen Mofas teilt.
Anschließend ließ sich das Kurbelgehäuse wunderbar zusammenbauen. Es ist immer wieder ein Genuss mit der Einziehvorrichtung zu arbeiten.
Auch der Ansaugstutzen schien sich zunächst problemlos montieren zu lassen. Aber dazu später noch mehr.
Letztlich ist der Sunny ein extrem dankbares Schrauberobjekt. Die Technik ist simpel und logisch aufgebaut und alles geht wunderbar zusammen. Tatsächlich macht der kleine Kerl diesbezüglich richtig viel Spaß.
Den WeDi an der Antriebswelle gab es dann auch noch neu. Da ein neues Set WeDi da war eigentlich keine Frage. Gerade an dieser Stelle, an der es zuletzt auch noch um die Sicherheit geht.
Frisch lackiert sieht auch der Auspuff wieder richtig gut aus. Überhaupt ging der Zusammenbau des Motors völlig unproblematisch über die Bühne. Wie gesagt, der Sunny ist ein sehr dankbares Schrauberobjekt.
Bis der Motor wieder im Rahmen war, vergingen trotzdem gut drei Stunden. Es dauert eben seine Zeit wenn man gewissenhaft arbeitet.
Die ersten Startversuche schlugen dann leider fehl, denn plötzlich war der Zündfunken weg. Letztlich stellte sich ein defektes Zündkabel als Ursache heraus. Mit einem neuen Kabel lief der Roller dann auch direkt. Insofern war die Aktion also erfolgreich.
Der Luftfilter erhielt provisorisch einen Wickel aus Klebeband, so hält er wenigstens soweit zusammen, dass ein paar Probefahrten möglich sein sollten.
Mit Airbox und Luftfiltereinsatz war dann auch ein brauchbarer Leerlauf einstellbar.
Klar, dass ich den Roller anschließend soweit zusammen gebaut habe das eine Probefahrt möglich war. Diese funktionierte auch ganz gut, zumindest auf den ersten paar Metern. Dann ging der Motor schlagartig aus und weigerte sich wieder anzuspringen.
Die Problemursache ist leider ein kleiner GAU. Der Ansaugstutzen ist an einer Anschraublasche gebrochen. Natürlich ist der Ansaugstutzen eines der Teile die nirgendwo, nicht einmal in Indien, zu bekommen sind. Warum das passiert ist? Nun, zu 99,9% war es mein Fehler, nämlich eine überspannte Schraubverbindung. Was kann man da machen? Einmal laut das Sch-Wort schreien und hoffen, dass sich möglichst bald ein Ersatzteil finden lässt.
Bis dahin ist es in diesem Fall nicht verkehrt ein Experiment zu wagen. Die Bruchstelle ist glatt und relativ großflächig, möglicherweise klappt es das Teil mit Kunstharz zu kleben. Einen Versuch ist es wert, vielleicht ist es ja stabil und dicht genug, das wenigstens ein paar Fahrten möglich sind. Die mechanische und thermische Belastung in diesem Bereich ist ja nur gering.
Zuletzt bekam dann noch der Hitzeschild etwas frische Farbe, grundiert hatte ich ihn ja schon beim letzten Mal. Notfalls steht der Sunny halt eine Zeit lang bis sich ein Teil gefunden hat. Hoffentlich nicht wieder 16 Jahre.
Immerhin, die Verkleidung ist vollständig da, wenn auch nicht in sonderlich tollem Zustand. Außerdem ein kompletter Motor mit gutem Ansaugstutzen.
Dieses Teil darf jetzt erstmal im Dieselbad einweichen, denn es ist furchtbar dreckig. Außerdem ging es dem Rollerrest aus Platzgründen gleich an den Kragen.
3/4 der Teile sind brauchbar und wert aufgehoben zu werden. Das (durchgerostete) Chassis wanderte in den Schrott, ebenso wie die vordere Bremsankerplatte mit gebrochenem Widerlager.
Übrig bleibt vor allem eine Kiste mit raren Teilen, die gesäubert und sortiert darauf warten irgendwann einen anderen Sunny am Leben zu halten. Bevorzugt natürlich meinen blauen.
Zwar hatte ich heute wenig Zeit, aber den geklebten ASS wollte doch noch testen. Die Naht sieht gut aus und ist stabil. Also habe ich das Teil direkt montiert.
Anschrauben ging problemlos und es hält. Dank reichlich Dichtmasse sollte das auch dicht sein. Allerdings läuft der Motor noch immer nicht. Es scheint, als würde er nicht ansaugen und/oder überströmen. Was das genau ist muss ich noch feststellen, aber dafür fehlte dann heute wirklich die Zeit. Immerhin die Sorgen um die Ersatzteilversorgung sind erstmal erledigt.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das abgelassene Getriebeöl deutlich nach Treibstoff roch.
Jetzt ist erstmal abwarten angesagt. Der Motor bekommt natürlich neue WeDi und, da er jetzt schon zum zweiten Mal offen ist, auch neue Kugellager. Wenn diese da sind geht es weiter.
Eine kurze Probefahrt mit dem Centro diente anschließend zur Frustbeseitigung. Aber das sind eben die Probleme mit alten Exoten ohne jede Dokumentation.
Eine Konstruktion mag noch so simpel sein, das heißt noch lange nicht, dass sie einen nicht Fuchsen kann.
Heute war etwas Zeit um den Motor wieder zusammen zu bauen, mit richtig ausgerichtetem WeDi natürlich.
slooowrider
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